Hamburg: Die Jahrhundert-Trilogie

Jahrhundert-Trilogie | schokotexte.de

 

Als ich vor einigen Wochen in einer Buchhandlung stöberte, stieß ich – fast beim Weggehen – noch auf die „Töchter einer neuen Zeit“ von Carmen Korn. Ich überflog den Klappentext und kaufte das Buch kurzentschlossen. Bereits in den Wochen zuvor hatte ich andere historische Romane aus den 1920er Jahren verschlungen. Also genau mein „Beuteschema“! 

Eigentlich las ich gerade noch eine ganz andere Buchreihe, nämlich die historischen Berlinkrimis von Volker Kutscher. Sie spielen in den Jahren 1929 bis 1934, eine unheilvolle Zeit. Dank Kutschers eindrücklichem Erzählstil und den sehr in die Tiefe gehenden Schilderungen der aufkommenden und beginnenden NS-Zeit fesselten sie mich sehr, und ich beschäftigte mich viel mit den Themen der Zeit.

Die „Töchter einer neuen Zeit“ lagen also noch ein oder zwei Wochen, bis ich Volker Kutschers bisher letzten Band real und im Kopf beendet hatte. Die Bücher sind echt schwere Kost, weil man natürlich weiß, was alles noch kommen wird und dass die Nazis eben nicht 1935 ‚kein Thema mehr‘ gewesen sein werden.

Ich schildere das so ausführlich, weil Caro in ihrem Blog ebenfalls die Bücher von Carmen Korn beschreibt. Als ich ihre Besprechung las, stand das Buch schon im Regal, ich hatte aber noch nicht begonnen zu lesen. Für sie las sich das Buch recht leicht, und sie vermisst den Tiefgang. Das kann ich – nach der Lektüre der beiden Bände – zwar nachvollziehen, mir ging es aber ganz anders. Und daaran ist Volker Kutscher Schuld. Seine Bücher haben so viel Tiefgang, dass ich über die Leichtigkeit von Carmen Korn sehr froh war. Trotz dem beide Reihen in der selben Zeit spielen, schafft es Korn, ein ganz anderes Lebensgefühl zu vermitteln. Natürlich ist Hamburg nicht Berlin. Aber die Charaktere sind sehr unterschiedlich. Und ein Polizist, der mit den neuen Machthabern nicht einverstanden ist (Kommissar Gereon Rath bei Volker Kutscher), steht in besonderem Maße zwischen den Stühlen.

Jahrhundert-Trilogie | schokotexte.deDoch zu den „Töchtern einer neuen Zeit„: Die Leichtigkeit! Allein der Einstieg begeisterte mich schon, und ich dachte eine Weile darüber nach:

„Henny hob den Kopf und lauschte. Ein Sehnsuchtsgeräusch, das aus dem Hof zu ihr hoch in den zweiten Stock fand, Sehnsuchtsgeräusch wie Glockenklang und der Gesang einer Amsel.“ (Seite 7)

Wie wunderbar! Es folgen im Buch noch einige Beispiele, und ich begann sofort ebenfalls über Sehnsuchtsgeräusche nachzudenken. Sommerregen, der Gesang der Lerche in den Dünen oder der Amsel an einem lauen Sommerabend. Schnell kam ich darüber zu Sehnsuchtsdüften: frischer Kaffee am Morgen. Das Meer. Ein Parfüm, das man lange nicht mehr gerochen hat.

Lebenslinien und -verschränkungen

Jahrhundert-Trilogie | schokotexte.deHenny tritt im März 1919 eine neue Stelle als Hebamme in der Hamburger Finkenau an, zusammen mit ihrer Freundin Käthe. Die beiden kennen sich seit der Schulzeit, sind aber sehr unterschiedlich. Henny aus einem etwas besseren Hause, Käthe Arbeitertochter. Sie ist den Kommunisten nicht abgeneigt und engagiert sich wie ihr Freund Rudi politisch, was beiden später zum Verhängnis werden wird.

Außerdem lernen wir die Geschwister Lina und Lud kennen, deren Eltern an den Kriegsfolgen und -auszehrungen verhungert sind – um ihre beiden Kinder zu retten. Nun, fast erwachsen, kämpfen die beiden darum, die Schuldgefühle zu überwinden und das Leben im Frieden zu gestalten. Dann ist da noch die verwöhnte Ida, Tochter aus gutem Hause. Sie bekommt, was sie will und kennt keine Not.

Die Wege dieser jungen Menschen kreuzen sich in den folgenden Jahren immer wieder. Die Frauen heiraten teils und bekommen Kinder, oder sie lehnen dies bewusst ab und gehen andere Wege. Wir begleiten sie im Buch bis 1948, als der zweite Weltkrieg zuende ist und die neue Zeit auch neue Chancen bietet.

Leichtkeit durch Lücken

Jahrhundert-Trilogie | schokotexte.deCarmen Korn gelingt es durch ihren leichten Erzählstil, ein spannendes Bild vom Hamburg der damaligen Zeit zu zeichnen. Stilistisch setzt sie auf Auslassungen – vieles wird nur kurz angedeutet oder im Nachhinein erzählt. Das trägt zur Leichtigkeit bei, nimmt dem Buch aber auch unnötigen Ballast und Schwere des „alles-erzählen-Müssens“. Zuerst verwunderte mich diese Art, aber immer mehr erfreute ich mich schließlich daran.

Herausgekommen ist ein Porträt der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, das mich fasziniert und begeistert hat. Und beunruhigt, denn ich wollte absolut sofort wissen, wie es weitergehen würde. Doch zum Glück ist Band zwei eben erschienen (bisher nur als Hardcover): „Zeiten des Aufbruchs„.

Erneuter Aufbruch

Nahtlos geht die Handlung im zweiten Band über und erzählt vom Wiederaufbau, der Wohnungsnot und der immer noch andauernden Suche nach Vermissten sowie der Hoffnung auf ihre Heimkehr. Neue Personen kommen hinzu und ergänzen die Familien, auch wenn sich der Schwerpunkt dadurch etwas verlagert. Nun stehen nicht mehr nur die „jungen“ und inzwischen älteren Frauen im Mittelpunkt, sondern auch ihre Kinder.

Mir hat der zweite Band ebenfalls gut gefallen, auch wenn ich den ersten insgesamt als etwas „runder“ empfand. Und gespannt warte ich auf Band drei – da muss ich allerdings noch Geduld haben. Denn an diesem Band schreibt die Autorin noch, vor dem Spätsommer 2018 wird es wohl nichts, sagte sie neulich in einem Interview.

Zeit- und Stadtgeschichte

Gefallen hat mir, Hamburg aus einer anderen Perspektive zu sehen. Genau deswegen lese ich ja so gerne historische Romane: Ich weiß, wo sie spielen, kenne meist die Straßen, habe Gebäude vor Augen – und doch ist alles ganz anders. Faszinierend – wie eben bei Volker Kutschers Büchern auch.

Kurz: Lesen?

Ja, auf jeden Fall, wenn ihr Hamburg-interessiert seid und gerne historische Romane mögt!

Die beiden Bücher sind im Rowohlt-Verlag erschienen.

 

Disclaimer: Die hier widergegebene Meinung ist meine eigene; die Bücher habe ich selbst erworben.

6 thoughts on “Hamburg: Die Jahrhundert-Trilogie

  1. Liebe Inga,
    ich bin noch beim 1. Band und bin begeistert! Die Geschichte spielt ja auf der Uhlenhorst und Drumherum und dort lebe ich seit über 40 Jahren! Einige Häuser die in den Roman beschrieben werden, stehen wirklich noch. Und überhaupt kenne ich alle Ecken die in dem Bauch vorkommen! Das macht so einen Spaß, das Buch zu lesen!
    Liebe Grüße,
    Kirsten

    1. Stimmt, liebe Kirsten,
      damit bist du ja auch sowas von in der Zielgruppe!! 🙂
      In Band 2 weitet es sich dann etwas auf die weitere Stadt aus, aber die Uhlenhorst kommt weiterhin vor…
      Lg Inga

  2. Liebe Inga, das war alles gut nachzuvollziehen. Du hast mich neugierig gemacht. Ich bin immer mal gerne in Hamburg. Wenn mein noch zu lesender Bücherstapel nicht so hoch wäre, würde ich sofort anfangen. Vielleicht beim nächsten Hamburgbesuch. Kutscher finde ich auch klasse! Grüße von July Jürgens 😉

    1. Oh ja, die Stapel… Ich verschweige lieber, wie hoch meine sind.
      Inzwischen lese ich aber einfach, wozu ich Lust habe. Sonst könnte ich mir nie wieder neue Bücher zulegen.
      Und danke, es freut mich, dass ich dich etwas anfixen konnte!
      Herzliche Grüße zurück!
      Inga

      1. Inga, ich wollte es nicht verraten. Ich mache es wie du, sonst dürfte ich auch kein Buch mehr kaufen. Meine Bücherstapel, na ja, du weisst dann wohl wovon ich spreche 😉 Bis bald
        Geertje